Verfahrensinformation

Der Kläger, ein französischer Staatsangehöriger mit Wohnsitz in Frankreich, begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit einer ihm gegenüber verfügten Einreiseverweigerung sowie der Schließung eines Grenzübergangs an der deutsch-französischen Grenze als Reaktion auf die Ausbreitung des Virus COVID-19 im Bundesgebiet im Frühjahr 2020.


Als er im Mai 2020 zum Zwecke des Einkaufs in einem Supermarkt in das Bundesgebiet einreisen wollte, wurde ihm die Einreise von Beamten der Bundespolizei verweigert. Die vom Kläger mit der Begründung, von ihm gehe keine Gesundheitsgefahr aus, erhobene und auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Einreiseverweigerung und der knapp zweimonatigen Schließung eines Grenzübergangs bei Saarbrücken gerichtete Klage ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Einreise habe dem Kläger aus Gründen der öffentlichen Gesundheit verweigert werden dürfen, weil es sich bei COVID-19 nach der wissenschaftlichen Risikoeinschätzung des Robert-Koch-Instituts um eine Krankheit mit epidemischem Potential handele. Angesichts der sich daraus ergebenden Gefahr für die öffentliche Gesundheit sei die Einreiseverweigerung verhältnismäßig gewesen. Der Kläger sei auch aufgrund seiner Staatsangehörigkeit nicht unionsrechtlich diskriminiert worden. Soweit die Klage die Schließung des Grenzübergangs betreffe, sei sie mangels Fortsetzungsfeststellungsinteresses unzulässig.


Mit seiner vom Oberverwaltungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Begehren weiter.


Pressemitteilung Nr. 31/2024 vom 13.06.2024

Coronabedingte Einreiseverweigerung im Mai 2020 rechtmäßig

Die Versagung der Einreise am Grenzübergang Grosbliederstroff (Frankreich) / Kleinblittersdorf (Deutschland) am 2. Mai 2020 zu dem Zweck, in einem Supermarkt in Kleinblittersdorf einzukaufen, war rechtmäßig. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden.


Der Kläger, ein französischer Staatsangehöriger mit Wohnsitz in Frankreich, begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit einer ihm gegenüber verfügten Einreiseverweigerung sowie der vorübergehenden Schließung eines Grenzübergangs an der deutsch-französischen Grenze bei Saarbrücken als Reaktion auf die Ausbreitung des Virus COVID-19 im Bundesgebiet im Frühjahr 2020. Die darauf gerichtete Klage ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben.


Der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts hat die Revision des Klägers zurückgewiesen. Die von der Bundespolizei gegenüber dem Kläger verfügte Einreiseverweigerung ist ein qualifizierter Eingriff in das jedem Unionsbürger zustehende Freizügigkeitsrecht, der sich typischerweise kurzfristig erledigt. Dagegen kann sich der Kläger mangels anderweitiger effektiver Rechtsschutzmöglichkeit mit der Fortsetzungsfeststellungsklage zur Wehr setzen. Die Einreiseverweigerung ist aber in der Sache rechtmäßig gewesen, weil es sich bei COVID-19 nach der maßgeblichen damaligen wissenschaftlichen Risikoeinschätzung der Weltgesundheitsorganisation um eine Krankheit mit epidemischem Potenzial gehandelt hat (§ 6 Abs. 1 Satz 2 Freizügigkeitsgesetz/EU, Art. 29 Abs. 1 RL 2004/28/EG). Angesichts der sich daraus ergebenden tatsächlichen Gefahr für die öffentliche Gesundheit ist die Einreiseverweigerung bezogen auf den Einreisezweck - Einkauf - im Mai 2020 verhältnismäßig gewesen. Darauf, ob von dem Kläger selbst eine Gesundheitsgefahr ausgegangen ist, kommt es im Hinblick auf das Ziel, das Infektionsgeschehen auch vorsorglich einzudämmen, bezogen auf den Zeitpunkt der Versagung der Einreise nicht an. Der Kläger ist durch diese Maßnahme auch nicht aufgrund seiner Staatsangehörigkeit diskriminiert worden. Soweit die Klage die vorübergehende Schließung eines einzelnen Grenzübergangs betrifft, ist sie hingegen mangels Fortsetzungsfeststellungsinteresses unzulässig, weil es sich nur um einen geringfügigen Grundrechtseingriff gehandelt hat.


BVerwG 1 C 2.23 - Urteil vom 13. Juni 2024

Vorinstanzen:

OVG Koblenz, OVG 7 A 10719/21.OVG - Urteil vom 17. November 2022 -

VG Koblenz, VG 3 K 545/20.KO - Urteil vom 26. April 2021 -


Urteil vom 13.06.2024 -
BVerwG 1 C 2.23ECLI:DE:BVerwG:2024:130624U1C2.23.0

COVID-19-bedingte Einreiseverweigerung im Mai 2020 rechtmäßig

Leitsätze:

1. Das Fortsetzungsfeststellungsinteresse nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO setzt in Fällen sich typischerweise kurzfristig erledigender Maßnahmen einen qualifizierten (tiefgreifenden, gewichtigen oder schwerwiegenden) Eingriff in ein Grundrecht oder eine unionsrechtliche Grundfreiheit voraus.

2. Art. 21 AEUV gewährt ein subjektiv-öffentliches Recht für jeden Unionsbürger, in das Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats einzureisen und sich dort aufzuhalten.

3. Nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU kann einem Freizügigkeitsberechtigten - unabhängig von einer individuellen Gefahrenprognose - die Einreise aus Gründen des öffentlichen Gesundheitsschutzes verweigert werden, wenn es sich um eine von der Weltgesundheitsorganisation benannte Krankheit mit epidemischem Potenzial (hier: COVID-19) handelt und eine tatsächliche Gesundheitsgefahr durch das Risiko einer weiteren Ausbreitung der Krankheit vorliegt.

  • Rechtsquellen
    FreizügG/EU § 6 Abs. 1
    VwGO § 113 Abs. 1 Satz 4, § 114
    GG Art. 2 Abs. 1, 2 Satz 1, Art. 19 Abs. 4
    GRC Art. 3 Abs. 1, Art. 35, 45, 47 Abs. 1
    AEUV Art. 18, 21, 168
    RL 2004/38/EG Art. 27, 29

  • VG Koblenz - 26.04.2021 - AZ: 3 K 545/20.KO
    OVG Koblenz - 17.11.2022 - AZ: 7 A 10719/21.OVG

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 13.06.2024 - 1 C 2.23 - [ECLI:DE:BVerwG:2024:130624U1C2.23.0]

Urteil

BVerwG 1 C 2.23

  • VG Koblenz - 26.04.2021 - AZ: 3 K 545/20.KO
  • OVG Koblenz - 17.11.2022 - AZ: 7 A 10719/21.OVG

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 13. Juni 2024
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Keller,
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dollinger und Böhmann und
die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Dr. Wittkopp und Fenzl
für Recht erkannt:

  1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 17. November 2022 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

Gründe

I

1 Der Kläger, ein französischer Staatsangehöriger mit Wohnsitz in Frankreich, begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Einreiseverweigerung sowie der vorläufigen Schließung eines Grenzübergangs an der deutsch-französischen Grenze während der COVID-19-Pandemie im Frühjahr 2020.

2 Im Zuge der Pandemie und der in diesem Zusammenhang wiedereingeführten vorübergehenden Binnengrenzkontrollen kam es in der Zeit vom 20. März 2020 bis zum 15. Mai 2020 als Reaktion auf die Ausbreitung des Coronavirus sowohl im Département Moselle als auch auf der gegenüberliegenden deutschen Seite u. a. zur vorübergehenden Schließung des Grenzübergangs Grosbliederstroff (F)/Saarbrücken-Güdingen (D). Als der Kläger am 2. Mai 2020 nachmittags von seinem Wohnsitz aus über den - wenige Kilometer entfernten - Grenzübergang Grosbliederstroff/​Kleinblittersdorf in das Bundesgebiet zum Zwecke des Einkaufs in einem Supermarkt einreisen wollte, wurde ihm die Einreise von Beamten der Bundespolizei verweigert. Die vom Kläger mit der Begründung, von ihm gehe keine Gesundheitsgefahr aus, erhobene und auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Einreiseverweigerung und der knapp zweimonatigen Schließung des Grenzübergangs Grosbliederstroff/​Saarbrücken-Güdingen gerichtete Klage ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben.

3 Das Oberverwaltungsgericht hat im Berufungsurteil ausgeführt, die Einreise am 2. Mai 2020 habe dem Kläger aus Gründen der öffentlichen Gesundheit verweigert werden dürfen, weil es sich bei COVID-19 nach der wissenschaftlichen Risikoeinschätzung des Robert Koch-Instituts um eine Krankheit mit epidemischem Potenzial handele. Angesichts der sich daraus ergebenden Gefahr für die öffentliche Gesundheit sei die Einreiseverweigerung verhältnismäßig gewesen. Der Kläger sei auch nicht aufgrund seiner Staatsangehörigkeit diskriminiert worden. Soweit die Klage die vorübergehende Schließung des Grenzübergangs Grosbliederstroff (F)/Saarbrücken-Güdingen (D) betreffe, sei sie mangels Fortsetzungsfeststellungsinteresses unzulässig.

4 Mit der vom Oberverwaltungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er ist der Auffassung, für die Einreiseverweigerung fehle es an einer Rechtsgrundlage. Bei COVID-19 handele es sich nicht um eine Krankheit mit epidemischem Potenzial im Sinne des europäischen Freizügigkeitsrechts. Zum Zeitpunkt der Grenzschließungen habe es sich bei COVID-19 um eine Pandemie gehandelt, die sich bereits weltweit ausgebreitet habe. Grenzschließungen seien daher nicht geeignet gewesen, ein Übergreifen auf deutsche Staatsangehörige zu verhindern. Europäisches Recht erlaube keine reisebeschränkenden Maßnahmen gegen Unionsbürger ohne individuelle Gefahrenprognose. Die Einreise dürfe nur für den Fall verweigert werden, dass die Gefahr für die öffentliche Gesundheit von dem Einreisewilligen selbst ausgehe. Die Einreiseverweigerung verstoße zudem gegen das Diskriminierungsverbot aus Art. 18 AEUV. Maßgebliches Differenzierungskriterium sei allein die nicht deutsche Staatsangehörigkeit des Klägers gewesen. Ein deutscher Staatsangehöriger in der gleichen Lebenssituation hätte keinen dringenden Einreisegrund geltend machen müssen. Das angefochtene Urteil halte auch den Regeln über die Nachprüfung von Ermessensentscheidungen nach § 114 VwGO nicht stand. Die Einreiseverweigerung sei gegenüber dem Kläger schließlich auch nicht verhältnismäßig.

5 Das Feststellungsinteresse für die nachträgliche Prüfung der Rechtmäßigkeit der vorübergehenden Schließung des Grenzübergangs Grosbliederstroff/​Saarbrücken-Güdingen im Frühjahr 2020 ergebe sich aus dem schwerwiegenden Eingriff in das Freizügigkeitsrecht und dem Umstand, dass die Schließung des Grenzübergangs sich bereits erledigt habe, bevor der Kläger Rechtsschutz in einem gerichtlichen Hauptsacheverfahren hätte erlangen können. Selbst wenn der Beurteilung als schwerwiegender Eingriff nicht gefolgt werde, bestehe ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse. Denn die Annahme eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses sei nicht auf Fälle gewichtiger Grundrechtseingriffe bei sich gleichzeitig typischerweise kurzfristig erledigenden Verwaltungsakten beschränkt.

6 Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil. Die Vertreterin des Bundesinteresses, die sich am Verfahren beteiligt, erklärt, hinsichtlich der vorübergehenden Straßensperrung zwischen Grosbliederstroff und Saarbrücken-Güdingen sei zu beachten, dass es sich hier um eine Maßnahme mit bloßem Lästigkeitswert handele, die die Ausübung des Rechts auf Freizügigkeit nicht wesentlich behindere. Es bestehe kein individueller Anspruch darauf, die Grenzen zwischen Mitgliedstaaten an beliebigen Stellen und kontrollfrei zu überschreiten. Die Einreiseverweigerung zu Einkaufszwecken am 2. Mai 2020 sei gerechtfertigt gewesen, weil es sich bei COVID-19 um eine Krankheit mit epidemischem Potenzial im Sinne der einschlägigen Rechtsinstrumente der Weltgesundheitsorganisation gehandelt habe. Zu Beginn der Pandemie sei die Einreiseverweigerung aufgrund einer relativ unsicheren Wissensbasis über die genauen Verbreitungswege der Pandemie und der erst später ausreichenden Kapazitäten und medizinischen Möglichkeiten zu sicheren Alternativen zu Reisebeschränkungen verhältnismäßig gewesen.

II

7 Die zulässige Revision des Klägers ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 144 Abs. 2 VwGO). Das angefochtene Urteil ist mit Bundesrecht vereinbar.

8 Das Oberverwaltungsgericht hat die Fortsetzungsfeststellungsklage zutreffend als zulässig, aber unbegründet erachtet, soweit sich der Kläger gegen die ihm gegenüber verfügte Einreiseverweigerung vom 2. Mai 2020 wendet (1.). Soweit der Kläger darüber hinaus die vorübergehende Schließung der Grenzübergangsstelle Grosbliederstroff/​Saarbrücken-Güdingen im Frühjahr 2020 angreift, hat das Oberverwaltungsgericht die Klage demgegenüber zu Recht für unzulässig gehalten, weil der Kläger kein berechtigtes Interesse analog § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der bereits vor Klageerhebung erledigten Allgemeinverfügung hat (2.).

9 Maßgeblich für die Prüfung der Rechtmäßigkeit von - wie vorliegend - erledigten Verwaltungsakten ist grundsätzlich der Zeitpunkt der Erledigung des Verwaltungsakts und die zu diesem Zeitpunkt bestehende Sach- und Rechtslage. Die Einreiseverweigerung und die vorläufige Schließung einer einzelnen Grenzübergangsstelle sind dementsprechend zum Zeitpunkt ihrer Erledigung im Mai 2020 zu prüfen.

10 Entscheidungserheblich ist danach § 6 Abs. 1 Satz 2 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (Freizügigkeitsgesetz/EU - FreizügG/EU) in der Fassung vom 21. Januar 2013 (BGBl. I S. 86). Das Freizügigkeitsgesetz/EU dient der Umsetzung des primärrechtlich in Art. 21 AEUV gewährleisteten Freizügigkeitsrechts der Unionsbürger in seiner sekundärrechtlichen Umsetzung durch die Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (ABl. L 158 S. 77) - Freizügigkeits-RL.

11 1. Das Oberverwaltungsgericht hat die vom Kläger gegen die Einreiseverweigerung vom 2. Mai 2020 erhobene Klage zu Recht für zulässig (a), aber unbegründet (b) erachtet.

12 a) Bei der Einreiseverweigerung handelt es sich um einen Verwaltungsakt, der sich kurzfristig erledigt. Dagegen kann sich der Kläger mangels anderweitiger effektiver Rechtsschutzmöglichkeit mit der Fortsetzungsfeststellungsklage analog § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO zur Wehr setzen.

13 Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann das berechtigte Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit eines erledigten Verwaltungsakts, das nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Fortsetzungsfeststellungsklage ist, rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Natur sein. Es ist typischerweise in den anerkannten Fallgruppen der Wiederholungsgefahr, des Rehabilitationsinteresses sowie der Absicht zum Führen eines Schadensersatzprozesses gegeben (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. März 2017 - 6 C 1.16 - BVerwGE 158, 301 Rn. 29 m. w. N.; Beschluss vom 14. Dezember 2018 - 6 B 133.18 - Buchholz 442.066 § 47 TKG Nr. 5 Rn. 10). Daneben kann das Fortsetzungsfeststellungsinteresse in bestimmten Fällen sich kurzfristig erledigender Maßnahmen vorliegen (BVerwG, Urteil vom 16. Februar 2023 - 1 C 19.21 - BVerwGE 178, 8 Rn. 17). Dies setzt indes einen qualifizierten (tiefgreifenden, gewichtigen oder schwerwiegenden) Eingriff in ein Grundrecht oder eine unionsrechtliche Grundfreiheit voraus (BVerwG, Urteile vom 15. Juni 2023 - 1 CN 1.22 - BayVBl 2023, 819 Rn. 12 und vom 24. April 2024 - 6 C 2.22 - NVwZ 2024, 1027 Rn. 22; Beschluss vom 29. Januar 2024 - 8 AV 1.24 - NVwZ 2024, 1025 Rn. 11).

14 Allein Letzteres kommt vorliegend in Betracht. Die angefochtenen Maßnahmen haben sich nach ihrer Eigenart so kurzfristig erledigt, dass Rechtsschutz in der Hauptsache nicht rechtzeitig zu erreichen war. Das auf eine grenzüberschreitende Einkaufsfahrt gerichtete Einreisebegehren vom 2. Mai 2020 hat sich spätestens mit Wiederaufnahme des kontrollfreien Binnengrenzverkehrs am 15. Mai 2020 erledigt.

15 Dem Kläger steht ein berechtigtes Interesse an der nachträglichen Kontrolle der Rechtmäßigkeit des erledigten Verwaltungsakts zur Seite. Denn mit der Einreiseverweigerung hat die Bundespolizei qualifiziert in das jedem Unionsbürger nach Art. 21 AEUV zustehende Freizügigkeitsrecht eingegriffen. Das Recht auf Freizügigkeit gilt für Unionsbürger unmittelbar, d. h. ohne Erfordernis einer sekundärrechtlichen Konkretisierung (EuGH <Plenum>, Urteil vom 19. Oktober 2004 - C-200/02 [ECLI:​​EU:​​C:​​2004:​​639], Zhu und Chen - Rn. 26). Art. 21 Abs. 1 AEUV enthält daher ein subjektiv-öffentliches Recht für jeden Unionsbürger, in das Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats einzureisen und sich dort aufzuhalten (EuGH, Urteil vom 17. September 2002 - C-413/99 [ECLI:​​EU:​​C:​​2002:​​493] - Rn. 80 <zur inhaltsgleichen Vorgängernorm des Art. 18 EGV>; BVerwG, Urteil vom 23. September 2020 - 1 C 27.19 - NVwZ 2021, 164 Rn. 24). Dies bestätigt die gesetzliche Systematik. Art. 21 Abs. 2 AEUV ermächtigt den Ministerrat und das Parlament, Vorschriften zur Erleichterung der nach Art. 21 Abs. 1 AEUV garantierten Rechte zu erlassen. Diese Ermächtigung setzt die subjektive Gewährleistung der Freizügigkeit voraus.

16 Zwar ist der Anlass für die versuchte Einreise ins Bundesgebiet hier von geringerer Bedeutung, da der Kläger nur über die Grenze fahren wollte, um dort im Supermarkt einzukaufen und er diese Einkäufe nach den vorinstanzlichen Feststellungen ebenso gut in Frankreich hätte erledigen können. Dennoch wird das Freizügigkeitsrecht in seinem Kern tangiert, da dem Unionsbürger sein Recht, sich in jedem Mitgliedstaat jederzeit frei zu bewegen, dorthin einzureisen und sich dort aufzuhalten, vollständig genommen worden ist (vgl. EuGH <GK>, Urteil vom 5. Dezember 2023 - C-128/22 [ECLI:​​EU:​​C:​​2023:​​951], Nordic Info BV - Rn. 59).

17 Angesichts der Bedeutung des primärrechtlich garantierten Freizügigkeitsrechts und des Umstandes, dass dieses Recht für Einreisen von Frankreich nach Deutschland bei Nichtvorliegen eines triftigen Grundes vorläufig aufgehoben wurde, stellt die Einreiseverweigerung bereits für sich genommen einen qualifizierten Eingriff in das Recht der Unionsbürger aus Art. 21 AEUV dar. Da dieser Eingriff sich zugleich typischerweise binnen Kurzem erledigt, sodass gegen ihn kein effektiver Rechtsschutz im Sinne von Art. 47 Abs. 1 GRC, Art. 19 Abs. 4 GG erlangt werden kann, hat das Oberverwaltungsgericht ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse des Klägers bundesrechtskonform bejaht.

18 b) Die Einreiseverweigerung ist in der Sache rechtmäßig gewesen. Rechtsgrundlage für die Einreiseverweigerung ist § 6 Abs. 1 Satz 2 FreizügG/EU, der Art. 29 Abs. 1 RL 2004/38/EG ins nationale Recht umsetzt. Danach darf innerhalb der Europäischen Union jedem Freizügigkeitsberechtigten die Einreise aus Gründen des öffentlichen Gesundheitsschutzes verweigert werden. Die Einreiseverweigerung aus Gründen der öffentlichen Gesundheit kann nach § 6 Abs. 1 Satz 2 und 3 FreizügG/EU nur erfolgen, wenn es sich um Krankheiten mit epidemischem Potenzial im Sinne der einschlägigen Rechtsinstrumente der Weltgesundheitsorganisation und sonstige übertragbare, durch Infektionserreger oder Parasiten verursachte Krankheiten handelt, sofern gegen diese Krankheiten Maßnahmen im Bundesgebiet getroffen werden, und wenn die Krankheit innerhalb der ersten drei Monate nach Einreise auftritt. COVID-19 ist eine solche Krankheit, die im Frühjahr 2020 nach der maßgeblichen wissenschaftlichen Risikoeinschätzung der Weltgesundheitsorganisation epidemisches Potenzial gehabt hat. In der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, aufgrund derer ein Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 Abs. 3 AEUV nicht erforderlich ist, ist geklärt, dass ein Mitgliedstaat auf der Grundlage dieser Bestimmungen die Freizügigkeit beschränkende Maßnahmen erst recht erlassen kann, um eine Bedrohung im Zusammenhang mit einer übertragbaren Infektionskrankheit zu bewältigen, die einen von der Weltgesundheitsorganisation anerkannten pandemischen Charakter aufweist (EuGH <GK>, Urteil vom 5. Dezember 2023 - C-128/22 - Rn. 53).

19 Eine tatsächliche Gesundheitsgefahr hat nach den bindenden Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts durch das Risiko einer weiteren Ausbreitung dieser Krankheit vorgelegen. Dieses Risiko hat also nicht nur eine hypothetische Gefahr begründet. Die Einreiseverweigerung ist in der Absicht verfügt worden, das Infektionsgeschehen einzudämmen. Zutreffend hat das Oberverwaltungsgericht ausgeführt, dass dazu nach § 6 Abs. 1 Satz 3 FreizügG/EU und Art. 29 RL 2004/38/EG keine individuelle Gefahrenprognose in Bezug auf die Gesundheit der einreisenden Person erforderlich ist. Deshalb kommt es darauf, ob von dem Kläger selbst eine Gesundheitsgefahr ausgegangen ist, im Hinblick auf das Ziel, das Infektionsgeschehen auch vorsorglich einzudämmen, bezogen auf den Zeitpunkt der Versagung der Einreise nicht an. Anderes folgt nicht aus der in § 6 Abs. 1 Satz 3 FreizügG/EU in der hier maßgeblichen Fassung (vgl. jetzt § 6 Abs. 1 Satz 4 FreizügG/EU) genannten Voraussetzung, dass die Krankheit innerhalb der ersten drei Monate nach Einreise aufgetreten sein muss. Dies bezieht sich allein auf die Verlustfeststellung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU bei bereits ins Bundesgebiet eingereisten Personen, wie schon aus dem Wortlaut deutlich wird, schränkt aber nicht den behördlichen Handlungsspielraum bei der Einreiseverweigerung ein. Dies ergibt sich zudem aus der Gesetzesbegründung (vgl. BT-Drs. 19/21750 S. 43) zur Änderung von § 6 Abs. 1 Satz 3 FreizügG/EU durch Gesetz vom 12. November 2020 (BGBl. I S. 2416), die ausdrücklich nur klarstellenden Charakter hat (vgl. dazu Thym, Stellungnahme für die Öffentliche Anhörung des Innenausschusses des Deutschen Bundestags am Montag, den 5. Oktober 2020 über den Entwurf eines Gesetzes zur aktuellen Anpassung des Freizügigkeitsgesetzes/EU und weiterer Vorschriften an das Unionsrecht, BT-Drs. 19/21750 v. 19.8.2020, Deutscher Bundestag, Ausschuss für Inneres und Heimat, Ausschuss-Drs. 19(4)585 E S. 10). Ohne Bundesrechtsverstoß hat das Oberverwaltungsgericht sich dafür weiter auf Art. 27 Abs. 2 RL 2004/38/EG bezogen, nach dem bei Einschränkungen aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit ausschließlich das persönliche Verhalten des Betroffenen ausschlaggebend sein darf, während für Einschränkungen aus Gründen des öffentlichen Gesundheitsschutzes nach Art. 29 RL 2004/38/EG eine solche Schranke nicht vorgesehen ist. Diese Auslegung hat der Gerichtshof der Europäischen Union in dem Urteil seiner Großen Kammer vom 5. Dezember 2023 - C-128/22 - (Rn. 63 f.) ausdrücklich als unionsrechtskonform bestätigt.

20 § 6 Abs. 1 Satz 2 FreizügG/EU stellt als Rechtsfolge die Einreiseverweigerung - entsprechend der Verlustfeststellung - in das pflichtgemäße Ermessen der zuständigen Behörde. Erforderlich ist eine Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse am Gesundheitsschutz und dem Interesse des Betroffenen an der Ausübung seines Freizügigkeitsrechts (EuGH <GK>, Urteil vom 25. Juli 2008 - C-127/08 [ECLI:​​EU:​​C:​​2008:​​449], Metock u. a. - Rn. 74). Die widerstreitenden Interessen sind im Rahmen einer Einzelfallentscheidung in einen angemessenen Ausgleich zu bringen und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist zu beachten (BVerwG, Urteil vom 3. August 2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297). Das Erfordernis der Ermessensentscheidung hat auch für die von der Beklagten veranlassten freizügigkeitsbeschränkenden Maßnahmen gegolten. Die COVID-19-Pandemie hat keinen Ausnahmezustand begründet, der nach Art. 347 AEUV eine außergewöhnliche Möglichkeit zur Abweichung vom Unionsrecht hätte rechtfertigen können. Die in § 6 Abs. 1 FreizügG/EU und Art. 27 ff. RL 2004/38/EG normierten Vorgaben sind ausreichend, um den Besonderheiten des Falles Rechnung zu tragen (Schlussanträge des Generalanwalts vom 7. September 2023 - C-128/22 [ECLI:​​EU:​​C:​​2023:​​645] - Rn. 51-54 und darauf Bezug nehmend EuGH <GK>, Urteil vom 5. Dezember 2023 - C-128/22 - Rn. 65-67).

21 In der Rechtsfolgenentscheidung hat die Bundespolizei die Einreiseverweigerung - an diesem Maßstab orientiert - frei von Ermessensfehlern i. S. v. § 114 VwGO verfügt.

22 Der Kläger ist durch diese Maßnahme nicht aufgrund seiner Staatsangehörigkeit diskriminiert worden. Art. 21 Abs. 1 i. V. m. Art. 18 AEUV gewährt das Recht, sich im Hoheitsgebiet des Aufnahmestaates ohne unmittelbare Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit frei zu bewegen und aufzuhalten (EuGH <GK>, Urteile vom 13. November 2018 - C-247/17 [ECLI:​​EU:​​C:​​2018:​​898], Raugevicius - Rn. 27 und vom 22. Dezember 2022 - C-237/21 [ECLI:​​EU:​​C:​​2022:​​1017] - Rn. 30). Eine Beschränkung der Freizügigkeit der Unionsbürger kann indes gerechtfertigt sein, wenn sie auf objektiven Erwägungen beruht und in angemessenem Verhältnis zu dem mit den betreffenden Regelungen legitimerweise verfolgten Zweck steht (EuGH <GK>, Urteil vom 13. November 2018 - C-247/17 - Rn. 31 und EuGH, Urteil vom 13. Juni 2019 - C-22/18 [ECLI:​​EU:​​C:​​2019:​​497] - Rn. 48). Die differenzierte Behandlung von nicht deutschen Unionsbürgern und deutschen Staatsangehörigen ist vorliegend durch den damit bezweckten öffentlichen Gesundheitsschutz zur Eindämmung der Pandemie - als einem nach § 6 Abs. 1 Satz 2 FreizügG/EU und Art. 29 RL 2004/38/EG legitimen Grund - sachlich gerechtfertigt. Dabei ist zu beachten, dass für eigene Staatsangehörige das Einreise- und Aufenthaltsrecht Folge ihrer Stellung als Staatsangehörige ist und nicht eingeschränkt werden darf (vgl. EuGH, Urteile vom 17. Juni 1997 - C-65/95 [ECLI:​​EU:​​C:​​1997:​​300] - Rn. 30 und vom 26. November 2002 - C-100/01 [ECLI:​​EU:​​C:​​2002:​​712] - Rn. 40).

23 Pandemiebedingte Beschränkungen der Freizügigkeit, die zum Schutz der Gesundheit erlassen werden, müssen sich am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit messen lassen. Leitgedanke ist dabei die zentrale Bedeutung des Gesundheitsschutzes. Lebens- und Gesundheitsschutz sind bereits für sich genommen überragend wichtige Gemeinwohlbelange und daher verfassungsrechtlich legitime Gesetzeszwecke. Die Schutzpflicht des Staates aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG greift nicht erst dann ein, wenn Verletzungen bereits eingetreten sind, sondern ist auch in die Zukunft gerichtet (BVerfG, Beschluss vom 27. April 2022 - 1 BvR 2649/21 - BVerfGE 161, 299 Rn. 155). Unionsrechtlich kommt dies primärrechtlich in Art. 168 Abs. 1 AEUV und Art. 35 GRC zum Ausdruck, wonach ein hohes Gesundheitsschutzniveau bei der Festlegung und Durchführung aller Unionspolitiken und Unionsmaßnahmen sichergestellt wird. Sekundärrechtlich erlauben Art. 27 Abs. 1 und Art. 29 Abs. 1 RL 2004/38/EG Beschränkungen des Einreise- und Aufenthaltsrechts aus Gründen des öffentlichen Gesundheitsschutzes.

24 Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union darf jeder Mitgliedstaat selbst bestimmen, auf welchem Niveau er den Schutz der Gesundheit der Bevölkerung gewährleisten will und wie dieses Niveau erreicht werden soll (EuGH, Urteile vom 5. Dezember 2013 - C-159/12 u. a. [ECLI:​​EU:​​C:​​2013:​​791] - Rn. 59 f. und vom 19. November 2020 - C-663/18 [ECLI:​​EU:​​C:​​2020:​​938] - Rn. 90). Folglich bedeutet der Umstand, dass ein Mitgliedstaat Bestimmungen erlässt, die weniger streng sind als die in einem anderen Mitgliedstaat erlassenen, nicht, dass Letztere unverhältnismäßig wären (EuGH, Urteil vom 25. Oktober 2018 - C-413/17 [ECLI:​​EU:​​C:​​2018:​​865], Roche Lietuva - Rn. 42 und EuGH <GK>, Urteil vom 5. Dezember 2023 - C-128/22 - Rn. 78). Die Eignung, Erforderlichkeit und Angemessenheit sind im Zeitpunkt des Erlasses der Maßnahmen zu beurteilen, wobei die zu diesem Zeitpunkt bekannten Erkenntnisse und wissenschaftlichen Daten, einschließlich der zu diesem Zeitpunkt herrschenden Unsicherheiten, zu berücksichtigen sind (EuGH <GK>, Urteil vom 5. Dezember 2023 - C-128/22 - Rn. 82). Das Freizügigkeitsrecht beschränkende Maßnahmen sind danach nur dann geeignet, das Ziel des öffentlichen Gesundheitsschutzes zu gewährleisten, wenn sie tatsächlich dem Anliegen gerecht werden, es zu erreichen, und wenn sie in kohärenter und systematischer Weise durchgeführt werden (EuGH <GK>, Urteile vom 7. September 2022 - C-391/20 [ECLI:​​EU:​​C:​​2022:​​638], Cilevičs u. a. - Rn. 75 und vom 5. Dezember 2023 - C-128/22 - Rn. 84). Was dabei die Frage betrifft, ob es weniger einschneidende, aber ebenso wirksame Maßnahmen gegeben hätte, ist auf den Beurteilungsspielraum hinzuweisen, über den die Mitgliedstaaten im Bereich des Schutzes der öffentlichen Gesundheit aufgrund des Vorsorgeprinzips verfügen. Das zuständige Gericht hat sich dafür auf die Prüfung zu beschränken, ob es offensichtlich ist, dass unter Berücksichtigung insbesondere der Informationen, die zur im Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeit über das Coronavirus vorlagen, Maßnahmen wie die Verpflichtung zur räumlichen Distanzierung oder zum Tragen von Masken sowie die Verpflichtung eines jeden, regelmäßig Screeningtests vorzunehmen, genügt hätten, um das gleiche Ergebnis wie die beschränkenden Maßnahmen zu gewährleisten (EuGH <GK>, Urteil vom 5. Dezember 2023 - C-128/22 - Rn. 90).

25 An diesem Maßstab orientiert ist die Versagung der Einreise am 2. Mai 2020 bezogen auf den Einreisezweck - Einkauf - verhältnismäßig gewesen. Im Mai 2020 - und damit zu Beginn der Anfang 2020 weltweit ausgebrochenen Pandemie - waren die damit verbundenen Risiken nicht abschätzbar, belastbare wissenschaftliche Daten und Fakten sind nicht oder nur sehr begrenzt verfügbar gewesen. Dies hat einen weiten Beurteilungsspielraum der mit dem öffentlichen Gesundheitsschutz befassten staatlichen Stellen in Legislative und Exekutive unter dem Aspekt der zukunftsgerichteten Gesundheitsvorsorge eröffnet. Die Beschränkung der Freizügigkeit ist zugleich geeignet gewesen, die Ausbreitung von COVID-19 einzudämmen oder zumindest zu verlangsamen. Den Kriterien der Erforderlichkeit und Angemessenheit sind die auf § 6 Abs. 1 Satz 2 und 3 FreizügG/EU gestützten Maßnahmen gerecht geworden, weil sie die freizügigkeitsbeschränkenden Regeln differenziert umgesetzt haben. Danach sind Einreisen von Unionsbürgern ins Bundesgebiet während der Hochphasen der COVID-19-Pandemie - auch im Mai 2020 - aus vielerlei Gründen - etwa zur Durchreise, als Arbeitspendler, im Rahmen des beruflichen Güter- und Warenverkehrs oder aus einem anderen dringenden Einreisegrund - möglich gewesen.

26 In der unter dem 7. Mai 202o schriftlich begründeten "Anordnung der Einreiseverweigerung" sind dem Kläger die Reisebeschränkungen durch die Bundespolizei im Einzelnen erläutert worden. Dabei ist ihm insbesondere erklärt worden, aus welchen Sachgründen Einreisen weiter möglich sind - etwa für durchreisende Unionsbürger, für Arbeitspendler, für pendelnde Schüler und Studenten - und warum sein Einreisewunsch - Einkauf - demgegenüber keinen dringenden Einreisegrund darstellt. Im Übrigen sind die vom Oberverwaltungsgericht angestellten Erwägungen zur Verhältnismäßigkeit und zur Kohärenz der Maßnahme revisionsrechtlich nicht zu beanstanden (UA S. 25-31).

27 2. Die vorläufige Schließung des Grenzübergangs Grosbliederstroff/​Saarbrücken-Güdingen in der Zeit zwischen dem 20. März und dem 15. Mai 2020 stellt zwar ebenfalls einen sich typischerweise kurzfristig erledigenden Verwaltungsakt - hier in der Gestalt einer Allgemeinverfügung - dar. Bei der Feststellung, dass sich die angegriffene Maßnahme typischerweise so kurzfristig erledigt, dass sie regelmäßig keiner Überprüfung im gerichtlichen Hauptsacheverfahren zugeführt werden kann, handelt es sich jedoch nicht um eine hinreichende, sondern nur um eine notwendige Voraussetzung für die Annahme eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses im Sinne dieser Fallgruppe. Zusätzlich muss darüber hinaus - wie bereits ausgeführt (vgl. oben Rn. 13) – die weitere Voraussetzung eines qualifizierten (tiefgreifenden, gewichtigen oder schwerwiegenden) Grundrechtseingriffs erfüllt sein (a). Diese weitere Voraussetzung für die Annahme eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses liegt im Fall des Klägers nicht vor (b).

28 a) Das nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO erforderliche berechtigte Interesse an der Feststellung ist in der Fallgruppe sich kurzfristig erledigender Verwaltungsakte nur gegeben, wenn der Verwaltungsakt zu einem qualifizierten (gewichtigen, tiefgreifenden oder schwerwiegenden) Eingriff in ein Grundrecht oder eine unionsrechtliche Grundfreiheit geführt hat. Dies ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt (siehe zuletzt nur BVerwG, Urteil vom 24. April 2024 - 6 C 2.22 - NVwZ 2024, 1027 Rn. 22 ff. m. w. N.).

29 b) Das Oberverwaltungsgericht hat zu Recht angenommen, dass diese Voraussetzung eines qualifizierten Eingriffs nicht erfüllt ist.

30 Der Eingriff - die vorläufige Schließung einer einzelnen Grenzübergangsstelle - beschränkt zwar die unionsrechtlich nach Art. 21 AEUV und Art. 45 GRC gewährleistete Freizügigkeit. Diese Grundfreiheit wird aber - anders als bei einer konkreten Einreiseverweigerung - nicht qualifiziert beeinträchtigt. Zum einen wirkt die Beschränkung des Freizügigkeitsrechts räumlich nur punktuell, hier bezogen auf den Grenzübergang Grosbliederstroff/​Saarbrücken-Güdingen. Andere während der Pandemie im Frühjahr 2020 errichtete vorläufige Grenzübergänge sind davon nicht betroffen gewesen. Nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts ist vielmehr ein anderer, nur wenige Kilometer vom geschlossenen Grenzübergang Grosbliederstroff/​Saarbrücken-Güdingen entfernt liegender Übergang auch während der COVID-19-Pandemie von Reisenden bei Vorliegen eines dringenden Einreisegrundes nutzbar gewesen. Zum anderen handelt es sich bei der vorläufigen Schließung eines Grenzübergangs - bei gleichzeitig passierbaren Grenzübergängen in räumlicher Nähe - um eine Maßnahme, die nur in sehr begrenztem Maße in das Recht der Freizügigkeit eingreift. Als einen solchermaßen begrenzten und damit unionsrechtskonformen Grundrechtseingriff hat der Gerichtshof der Europäischen Union etwa obligatorische Screeningmaßnahmen während der COVID-19-Pandemie beurteilt (EuGH <GK>, Urteil vom 5. Dezember 2023 - C-128/22 - Rn. 96). Das Screening erfordert immerhin einen Abstrich aus dem tieferen Mund-, Rachen- und/​oder Nasenraum und damit einen Eingriff in das Recht der körperlichen Unversehrtheit nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, Art. 3 Abs. 1 GRC; zudem muss das Testergebnis abgewartet werden. Dennoch greifen diese Maßnahmen - so der Gerichtshof - aufgrund der Schnelligkeit der Tests nur begrenzt in die Rechte der Reisenden und das Freizügigkeitsrecht ein, während sie zur Identifizierung von Personen, die Träger des Coronavirus sind, und damit zur Erreichung des Ziels beitragen, die Ausbreitung des Virus einzudämmen. Diesem Ziel hat auch die vorläufige Schließung der Grenzkontrollstelle Grosbliederstroff/​Saarbrücken-Güdingen gedient. Zudem hat die angefochtene Maßnahme - anders als ein Screeningtest - nicht einmal in die körperliche Unversehrtheit (Art. 3 Abs. 1 GRC) oder in das "Ob" der Freizügigkeit (Art. 45 GRC) eingegriffen, sondern allein die konkrete Art und Weise der Ausübung des Freizügigkeitsrechts berührt, zumal davon auszugehen ist, dass das Passieren einer Grenzkontrolle grundsätzlich weniger Zeit in Anspruch nehmen dürfte als ein Screeningtest. Angesichts von nur wenige Kilometer entfernt erreichbaren offenen Grenzübergangsstellen, die mit Sachgrund passierbar gewesen sind, ist das Freizügigkeitsrecht nicht qualifiziert eingeschränkt worden.

31 Der Eingriff in Art. 2 Abs. 1 GG hat hier mangels einer gesteigerten, dem Schutzgut der übrigen Grundrechte vergleichbaren Relevanz für die Persönlichkeitsentfaltung des Klägers ebenfalls kein solches Gewicht, dass die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG) es gebieten würde, die Rechtmäßigkeit des Grundrechtseingriffs gerichtlich klären zu lassen, obwohl dieser tatsächlich nicht mehr fortwirkt. Die vorübergehende Schließung des Grenzübergangs Grosbliederstroff/​Saarbrücken-Güdingen hat lediglich die Möglichkeiten zur Gestaltung der Freizeit des in Frankreich wohnenden Klägers und der Erledigung seiner alltäglichen Geschäfte (zu einem vergleichbaren Fall bei einem polizeilichen Platzverweis: BVerfG, Kammerbeschluss vom 25. März 2008 - 1 BvR 1548/02 - juris Rn. 39) berührt. Auf subjektive Gesichtspunkte wie etwa einen möglicherweise gesteigerten Erlebniswert des Einkaufs in Deutschland gerade für den Kläger kann hierbei nicht abgestellt werden. Damit der sich aus dem Wortlaut des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO und dem systematischen Zusammenhang mit § 42 VwGO ergebende Grundsatz, dass die Verwaltungsgerichte nur ausnahmsweise für die Überprüfung erledigter Verwaltungsakte in Anspruch genommen werden können, nicht unterlaufen wird, ist vielmehr ein objektiver Maßstab anzulegen. Die Maßnahme steht auch nicht in einem durch weitere Grundrechtseingriffe erheblichen Gewichts geprägten Gesamtkontext.

32 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.